Wut: Die Kraft, die Kontakt schafft Ein gestalttherapeutischer Blick auf eine unterschätzte Emotion
- Arne Zels
- 30. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Wut, allein das Wort kann schon den Puls steigen lassen. Wut gilt viel zu oft als negative Emotion, wird weggedrückt, gefürchtet oder ist einfach nur unerwünscht.
Dabei ist Wut nichts anderes als eines von vielen Gefühlen und ist für unser Dasein sehr wichtig. In der Gestalttherapie betrachten wir deshalb Wut nicht einfach von vornherein als Problem, sondern als eine Form emotionaler Verfasstheit, die auch Kontakt ermöglicht, nicht zuletzt mit uns selbst. Denn wenn wir uns unserer auftretenden Wut bewusstwerden, vielleicht sogar unterscheiden lernen, was unser eigener Anteil und was gerade von außen an uns herangetragen wird, dann können wir auch zunehmend entscheiden, was wir von unserer Wut zur Verfügung stellen, sind nicht nur einfach reaktiv, sondern frei in unserer Handlung.
Wut ist nicht gleich Gewalt, nicht gleich „Ausrasten“, nicht gleich Zerstörung. Wut, als aggressives Gefühl kann auch eine Form sein, die Welt zu erfahren, mit ihr in Kontakt zu treten, sich von ihr abzugrenzen oder auch, sie zu ergreifen, sie sich zu eigen machen.
Was wir dabei „aggressiv“ nennen, ist oft schlicht der Versuch, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, sie zu beeinflussen, sich durchzusetzen. Im gesunden Sinne ist Aggression Kontaktkraft.
Aggression ist aus dieser Perspektive ein notwendiger Teil der Selbstbehauptung und der Integration von Erfahrungen. Hier wurde von Fritz Perls, einem der Begründer der Gestalttherapie, gerne der Vergleich des Essens eines Apfels genutzt. Das Hineinbeißen, Zerkauen und Zerkleinern des Apfels als aggressiver Akt sind die Voraussetzungen, um ihn zu verdauen. Erst wenn dies geschehen ist, können aus den zerkleinerten Teilen des ehemaligen Apfels körpereigene Strukturen aufgebaut werden. Und unser seelisches Erleben funktioniert ähnlich. Auch hier müssen wir Erfahrungen, Erlebnisse und Einflüsse „verdauen“, sie uns zu eigen machen, damit sie nicht wie ein Fremdkörper in uns wirksam werden. Sogenannte Glaubenssätze können hierfür ein Beispiel sein (dazu später vielleicht mehr).
Wut kann also als Ausdruck gesunder Aggression eine kreative Fähigkeit sein, aktiv auf die Umwelt einzuwirken, statt passiv zu erleiden, alles zu schlucken und ist damit für die seelische Entwicklung und auch für die Resilienz, die Widerstandskraft, wichtig. Und sie hilft uns auch zu erkennen, ob etwas an uns herangetragen wird, das für uns vielleicht nicht annehmbar ist. Das gerade die eigene Kontaktgrenze verletzt wird, dass eine Überschreitung stattfindet, die erst überprüft werden muss, denn letztendlich müssen wir ja auch nicht alles „schlucken“, was uns angeboten wird. Wenn wir uns der Bedeutung unserer eigenen Wut bewusstwerden, dann kann diese wichtige Emotion ein kontaktvolles Erleben möglich machen, das menschliche Miteinander fördern und bereichern.
Erleben wir uns stattdessen beim Thema Wut von vornhinein eher in der Notwendigkeit des Vermeidens oder sogar Verdrängens, dann kann Wut andere Ausprägungen des Verhaltens annehmen, z.B. Zorn oder Groll als Ausdruck, ohnmächtig einer Welt ausgesetzt zu sein, die angstbesetzt und bedrohlich ist. Gerade deshalb kann es eine Aufgabe der heutigen Zeit sein, beim Erleben von Wut innezuhalten, zu prüfen, was genau erlebe ich gerade, was hat dieses Gefühl mit mir zu tun, es zu überprüfen und nicht sofort reaktiv im Außen zu schauen, wer dafür die Verantwortung trägt, Schuld hat oder mir vielleicht sogar persönlich böses will. Denn dann können wir uns viel zu schnell in Zorn und Groll verlieren, anstatt uns kontaktvoll mit der Welt verbunden zu erleben.
Comments